vonDresdennachIstanbul
3390 km
 
   

Der Reisebericht aus dem Abschnitt Türkei

#27

Donnerstag, 11.09.2008

Orestiada - Soufli - Keşan (TR)

114,1 km

5:19 h

av. V = 21,4 km/h

↗ 587 hm

↘ 511 hm

av. P = 100 W

16°C - 34°C, sonnig, trocken und Gegenwind

12 € &  24 YTL (neue Türk. Lira)


Hinter dem griechischem Checkpoint kommt der Grenzstreifen, der es an dieser Grenze aber mal in sich hat: gepanzerte Fahrzeuge stehen bereit und türkische Soldaten mit schwerer Bewaffnung bewachen ihr Heimatland. Einen Soldaten will ich etwas fragen, doch als ich mich ihm nähere nimmt er nervös seine Maschinenpistole in Anschlag. Ich überleg es mir anders und fahr einfach weiter ohne zu fragen. Der Grenzfluss Evros ist ausgetrocknet, seit Wochen kann es hier nicht mehr geregnet haben. Nun erreichen wir der türkische Checkpoint, der sich durch eine überdimensionale Türkei-Fahne ankündigt. Drei Mal müssen wir an unterschiedlichen Punkten unsere Pässe vorzeigen, bis wir abschließend alle Kontrollen durchlaufen haben und endlich in der zivilen Türkei angekommen sind. Die letzte Grenze der Tour war gleichzeitig ohne Zweifel, die am schärfsten bewachte.

Die nächsten 30 Kilometer bis Keşan, der ersten größeren Stadt in der Türkei, führen durch eine Steppenlandschaft. Die Trockenheit der letzten Zeit hat alles verdorren und vertrocknen lassen. Schnurrgerade führt die Straße durch diese Ödnis. Angeblich soll in dieser Gegend sogar Reis angebaut werden, doch dafür müsste es erst einmal einen ganzen Monat lang regnen. In Keşan ankommend halten wir an einem Supermarkt, welcher an der Kreuzung der Nord-Süd und der West-Ost-Europastraße liegt. Einmal mehr habe ich Angst unsere Fahrräder zwar angeschlossen, aber unbeaufsichtigt, hier auf einem solchen Parkplatz abzustellen. Der Supermarkt ist riesig groß, beim Reinkommen muss man durch einen Sicherheitsschleuse mit Metalldetektor, genau wie am Flughafen, gehen und darf weder Waffen noch Fotoapparate bei sich tragen. Also bleibt auch dieser am Fahrrad. Drinnen ist es angenehm kühl. Das erste was wir hier und damit auch in der Türkei essen ist Döner. So ist endlich auch ein Klischee eines Landes, welches man so in sich trägt,  bestätigt worden. 

Unsere Türkeikarte dieser Region, welche in Deutschland gar nicht so einfach zu beschaffen war, verrät uns bei Keşan einen Zeltplatz und dann erst einmal lange keinen mehr. Und da wir uns außerdem über den weiteren Streckenverlauf nicht auf die schnelle einigen können, endet diese Tagesetappe, obwohl erst Nachmittag ist, schon hier. Der Zeltplatz ist schnell gefunden und ist ein Garten neben einer Gaststätte. Der kleine und schmächtige Besitzer, auf dessen Auto ein Türkei- und ein Deutschlandaufkleber haften, lädt und herzlich auf seinen winzigen Rasen ein, für den er nicht mal eine Gebühr erhebt. Wir trinken zum Ausgleich in seiner Gaststätte zwei Bier, das typisch türkische Efes hat er leider nicht im Angebot und so gibt’s dänisches Tuborg. Gewaschen wird sich hinter einer Mauer und etwa fünf Minuten Fußmarsch durch Disteln später im Stausee Kocadere Göleti.

Am Abend hören wir zum ersten Mal einen Imam der über Lautsprecher aus einer Moschee Koranverse rezitiert. Seine Stimme wirkt beruhigend und klingt wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht.

 

#28

Freitag, 12.09.2008

Keşan - Sarköy - Uçmakdere

113,3 km

6:16 h

av. V = 18,0 km/h

↗ 971 hm

↘ 1000 hm

av. P = 80 W

18°C - 36°C, sonnig, trocken, heiß

n.V.

 

Der neue Tag beginnt mit der Diskussion über den weiteren Streckenverlauf, die Dinge liegen so: Von Keşan bis Istanbul sind es auf der dicken Transitstraße 230 Kilometer, es ist die Direttissima. Die Alternative geht nicht auf dem kürzesten Weg nach Osten, sondern erst einmal 40 Kilometer nach Süden zum Marmarameer. Von da dann immer an der Küste entlang bis Tekirdağ, wo man unausweichlich wieder auf die grausige Transitstraße kommt, welcher man hier bis Istanbul folgen muss. Insgesamt ein Umweg von etwa 45 Kilometern, also noch 275 Kilometer bis zum Ziel.  Auf unserer Karte ist die kleine Küstenstraße mit dem Zusatz versehen: “Picturesque Road“, wie ein Magnet zieht es mich daher in Erwartung verschlafener Fischerdörfer, verträumter Naturstrände und einer letzten Ruhe vor dem Sturm von Istanbul, zum Meer. Konrad, der immer mehr zum Pragmatiker und Verfechter einer allein zielorientieren Handlungsweise wird, möchte lieber den sprichwörtlichen Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Warum sollte man es sich schwerer machen, als es sowieso schon ist. 3000 Kilometer haben wir in den Beinen, zudem hat Konrad in den letzten Tagen nicht nur gegen die Kilometer an sich, sondern auch gegen seine Durchfall-Erkrankung angekämpft.

Wir können uns bis zum Frühstück in Keşans Stadtzentrum nicht richtig einigen, fahren dann aber dennoch unter Konrads Protest den Süd-Umweg und direkt ans Meer. Keşan selbst, lernen wir erst heute kennen. Gestern Abend sind wir nur daran vorbei gedüst und haben etwas außerhalb campiert. Wir entdecken die Moschee mit ihrer türkisfarbenen Kuppel und den zwei Minaretten. Von hier aus hat uns also gestern Abend der Imam in den Schlaf gesungen.

Während wir auf einer Mauer sitzend frühstücken, verfolgen wir das morgendliche Treiben. Die Schule scheint gerade zu beginnen, denn viele Kinder in feiner Schuluniform laufen durch die Gassen oder fahren mit einem der vielen winzigen Mini-Busse zu ihrem Ziel. Lieferwagen bringen dem Laden, wo auch wir uns mit allem Nötigen versorgt hatten, frische Lebensmittel. Die Kisten stehen auf der Straße im Verkehr, alle umfahren sie wie selbstverständlich. Gehupt wird trotzdem und immer, selbst wenn alles läuft.

Auch wenn es immer ein wenig schwer fällt, beginnen auch wir nun unser Tagewerk und brechen schließlich auf. Viel Militär ist in dieser Gegend auf den Straßen unterwegs, man liest in Reiseführern Warnungen, dass diese sehr rücksichtslos auf Radfahrer reagieren und keinesfalls bremsen würden. Also sind wir auf der Hut. Immer noch unter Protest erreicht Konrad den ersten richtigen Berg lange vor mir, indes mache ich mich auf ordentlichen Tacheles gefasst, denn dass es hier gleich so hügelig werden würde, hatten wir nicht ausgemacht, was ich aber auch wirklich nicht wusste. Doch oben am Korudağ-“Pass“ (350 M ü. NN), strahlt Konrad über das ganze Gesicht und auch ich verliere alle Anspannung und freue mich, denn was wir sehen ist zum ersten Mal das Meer. Es ist eine herrliche Bucht des Ege Denizi, des Ägäischen Meeres. Zwei kleine Inseln ragen aus den Fluten, des Tauchparadieses Golf von Saros. Unter den strengen Augen Mustafa Kemal Atatürks, der uns von einem Bild aus beobachtet, genehmigen wir uns in einem Restaurant eine kühle Cola. Auch wenn die 350 Meter Höhe im Vergleich zum Balkangebirge witzig wirken, sind wir schon ganz schön außer Atem. Vor hier aus kann man dafür aber in Südwest-Richtung die Gallipoli-Halbinsel erkennen. Von Alexander dem Großen, über die Großwesire des Osmanischen Reiches bis hin zum ersten Weltkrieg diente dieser Ort allen als Ausgangspunkt oder Schauplatz für große Schlachten. Und eben dieser Atatürk, vom Bild an der Wand des Restaurants, begann da als siegender Befehlshaber der Schlacht von Gallipoli gegen die Briten und Franzosen 1915 seine kometenhafte Karriere, die ihn schlussendlich zum türkischen Volksheld und als Begründer und Präsidenten der modernen Türkei auch weltbekannt machte. Die Cola zahle ich mit Geldnoten die sein Konterfei zeigen.

Wir fahren nun auf einer schurgeraden Straße hinab ans Meer. Die Füße hineinstellen oder baden können wir aber nicht, da es keinen Strand oder Meereszugang gibt. Eine Sumpf- und Schilflandschaft breitet sich im Tal aus. Es ist ein Paradies für Vögel, die hier zu Tausenden Zwischenstation auf ihrem langen Weg nach Afrika einlegen. Auch Weißstörche waten auf der Suche nach saftigen Fröschen durch das Schilf. Vielleicht kommt einer von ihnen ja auch aus Sachsen oder dem Spreewald.

Im Örtchen Kavak am Ende des Sumpfgebietes können wir uns zum letzten Mal auf der Landkarte lokalisieren. Wie wir dann die nächsten Stunden verbracht haben, erschließt sich mir bis heute nicht. Denn entweder war die Karte vollkommen falsch oder die Landschaft hat sich seit dem Druck der Karte 1994 grundlegend verändert. Es ging so los, dass wir die Straße nun verlassen mussten, da wir ja nicht auf die Gallipoli-Halbinsel drauf und in eine Sackgasse fahren wollten. Zwischen dem Ägäischen Meer und dem Marmarameer sind es hier, am Beginn der trennenden Halbinsel, nur fünf Kilometer Luftlinie. Doch vom Anfang an führen die Straßen nicht in die Dörfer, die es auf der Karte gibt. Zu erst quälen wir uns an Bunkern vorbei einen Berg hinauf, kein Mensch ist zusehen, oben angekommen steht mitten auf dem Weg ein Tor. Soldaten kommen angefahren und weißen uns daraufhin, dass das ein militärisches Sperrgebiet ist. Ja so sieht es auch aus. Den Versuch zu fragen, ob wir nicht dennoch hier langfahren dürfen, hätte ich mir auch sparen können. Zurück zum Ausgangspunkt also und die andere Straße nehmen, diese verliert schnell ihren Asphalt und ist nur noch eine Schotterpiste. Wir durchfahren ein kleines Dorf, auf der Karte ist es nicht zu finden und auch kein Mensch ist zu sehen, der uns weiter helfen könnte. Hinter dem Dorf endet die Zivilisation, wie wir sie kennen und es beginnt die Wildnis. Denn zwei Stunden lang begegnet uns kein Mensch, die fünf Kilometer sind längst drei, vier und fünffach überschritten. Kein Marmarameer ist zusehen, nur der Schotterweg und rotbrauner Boden und die vertrocknete Landschaft. Es geht bergauf und hinab, teilweise fahren wir am Stacheldraht des Militärischen Sperrgebietes entlang. Auf der linken Seite, werden die Berge immer höher. In einer Senke mache ich kurz halt und warte auf Konrad, denn auf den Hügeln um uns herum haben sich wilde Hunde versammelt. Sowohl zur rechten, als auch zur linken Seite stehen sie da, wie Indianer, die gleich losschlagen wollen. Es ist totenstille. Keiner von den etwa zehn Hunden bellt oder heult. Sie sind gut 200 oder 300 Meter von uns entfernt, stehen da am Rand des Dickichts und beobachten uns. Darauf zu hoffen, dass gleich ein Mensch vorbei kommt und sie zurück pfeift, brauchen wir hier nicht. Sie würden wohl auch keinem Menschen hörig sein. Wir stehen da und rühren uns nicht, sie stehen da und haben uns umzingelt. Wir bewaffnen uns mit dem was wir haben: Der Eisenkette und dem Pfefferspray, viel lieber hätte ich hier aber jetzt gerne einen Panzer oder zumindest eine Ritterrüstung. Konrad fährt langsam weiter, ich möchte ihn vor mir wissen, wenn es in den finalen Sprint geht. Kaum haben wir uns in Bewegung gesetzt, ist dass das Signal woraufhin die Hunde losstürmen und angreifen. Von allen Seiten stürzen sie wild kläffend zu uns herab. Beide treten wir mit allen Kräften die wir mobilisieren können und unterstützt durch eine ordentliche Ladung Adrenalin in die Pedale. Die Räder knallen über den Schotter und das Geröll, für uns gibt es jetzt kein morgen und auch kein in einer Stunde, allein diese Flucht zählt. Im Tunnelblick nur noch die nächste Hügelkuppe, nach der es hoffentlich hinab in ein Tal und in Sicherheit geht. Hinter mir kommen die Hunde immer näher ich kann sie hören und fühlen. Ich wage einen Blick zurück, nicht eine Hand lass ich vom Lenker los, die Gefahr bei diesem Tempo und auf dieser Piste zu stürzen ist zu groß. Was ich sehe sind sechs Hunde, die fast schon auf meinem Gepäckträger sitzen. Zwei Große versuchen immer wieder einen Angriffspunkt zu finden, scheitern aber vorerst an den dicken Gepäckträgertaschen, dem einzige Schutz meiner Waden. Als sie mich endgültig eingeholt haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als volles Risiko zu gehen und aus voller Fahrt eine Hand vom Lenker zu nehmen und mit dem Pfefferspray zurückzuschlagen. Dieses vier Zentimeter kleine Sprühdose ist alles was ich habe.

Geil! Den ersten Großen treffe ich auf Anhieb im Gesicht, wimmernd dreht er ab und fliegt auf seine Schnauze. Auch zwei weitere bleiben in den nächsten Momenten irritiert stehen. Jetzt bloß nicht selbst auch noch hinfliegen, denke ich mir und umgreife wieder mit beiden Händen den Lenker um die Sicherheit über mein Fahrrad zurückzugewinnen, doch das Spray hört nicht auf zu sprühen. Und so versprüht es sein Inhalt in die Luft und durch den Fahrtwind auch in mein Gesicht, in meine Augen und auf meine Lippen. Alles brennt furchtbar, meine Augenlider krampfen sich augenblicklich zu und tränen. Stur fahre ich weiter, die Hunde müssen ja nicht unbedingt von meinem Fauxpas wissen. Ich höre sie nicht mehr und da Konrad inzwischen eingeholt ist und die Gefahr vorbei zu sein scheint, halten wir an. Stille. Keine Hunde. Schnell wasche ich mit allem Wasser was wir haben, die Augen und Lippen aus, immer noch brennt es wie die Hölle. So krass hatte ich mir Pfefferspray nicht vorgestellt. Wir sitzen eine Weile am Rand des Weges und ruhen uns von dem Schrecken aus. Das hätte hier auch schnell schief aus gehen können. Und was wäre dann passiert? Was wäre, wenn einer gestürzt wäre? Hätten die Hunde uns aufgefressen? Aus der Distanz von Deutschland aus klingt es übertrieben, aber dort in der Türkei, auf einem Flecken Erde, der nicht mal in Karten verzeichnet ist, und wo Hunde keinen haben der sie brav füttert, da könnte ich mir zumindest vorstellen, dass sie es versucht hätten. Es war der letzte Hundeangriff auf unserer Tour von Dresden nach Istanbul, es war eine letzte Prüfung und Hürde.  Der finale Akt.

Wenig später erkennen wir am Horizont wieder das Meer. Dieses Mal ist es das Marmarameer, was sich im tiefen blau vom braun der dürren Landschaft abhebt.  Nur noch da runter, nur noch ans Meer und dann muss diese Ödnis ja ein Ende haben, sagen wir uns und suchen den Weg. Doch so einfach ist es nicht, die Wege führen nicht hinab, sondern wirren sich hier oben durch die Gegend. Bald verlassen wir die Wege gänzlich und fahren auf dem vertrockneten Boden zu Häusern, zur Zivilisation,  die wir ausgemacht haben. Doch auch Häuser versprechen keine Menschen. Müssen wir lernen. Viel mehr scheint hier eine Immobilienblase geplatzt zu sein. Ein ganzes Feriendorf ist im Rohbau eingeschlafen und nun holt sich die spärliche Natur ihren Besitz zurück. Endlich wieder Asphalt unter den Rädern habend, fahren wir durch das Dorf. Kaum ein Haus ist wirklich fertig und bewohnbar. Alle sind weggegangen. Vielleicht haben auch immer wieder malträtierende Hundebanden das Dorf heimgesucht und alle Bewohner aufgefressen? Gut vorstellbar.

Wir suchen uns einen Weg zum Meer und finden ihn schließlich auch. Direkt am Ufer ist ein Laden, der noch nicht aufgegeben wurde und wo wir wieder Wasser und andere Getränke nachkaufen können. Still wählen wir aus, was wir brauchen. Der Mann an der Kasse schaut uns an und beginnt, als wir bezahlen wollen, zu sprechen. Ich kann kein Türkisch. Konrad kann kein Türkisch und dieser Mann kann ganz gewiss auch kein Türkisch. Denn auch wenn wir nur einige wenige Wörter kennen, so kennen wir doch den Klang dieser Sprache ziemlich gut. Er spricht in Knacklauten, tief aus seiner Kehle kommen Geräusche komplett ohne Stimme. Wir geben staunend einen Atatürk-Geldschein hin, doch er redet weiter und weiter. Unsere Gesten müssten in der ganzen Welt als wir-haben-keine-Ahnung-was-sie-uns-sagen-wollen verstanden werden, doch er knackst unentwegt weiter. Zum Glück, kommt ein Junge in den Laden, schiebt den Mann beiseite und kassiert uns ab. Wir setzen uns auf eine Bank am Meer, genießen die eisgekühlten Getränke und fragen uns dabei immer noch, was das eben in dem Laden war, was das für ein ausgestorbenes Nest ist und wo, zur Hölle, wir überhaupt sind.

Letzteres versuche ich von einem älteren, türkischen Ehepaar direkt eine Bank weiter zu erfragen. Lange studieren sie bedenklich die Landkarte und tippen dann unsicher auf Sarköy. Sarköy? Ganz sicher nicht! Denn Sarköy soll einen Hafen, eine Polizeistation, ein Krankenhaus, ein Postamt, eine Tankstelle, drei Campingplätze und ganz fundamental auch Straßen, die den Ort mit der Außenwelt verbinden, haben. Nichts davon ist hier vorhanden. Das umherirren in dieser Gegend geht noch eine ganze Weile so weiter, eine Küstenstraße will sich partout nicht vor uns auftun. Schlussendlich müssen wir wieder von der Küste fort ins bergige Hinterland fahren, zwar sind wir jetzt wieder unter Menschen, kommen dabei aber nicht so richtig vorwärts. Das lässt sich auch statistisch belegen, denn unsere Durchschnittsgeschwindigkeit war seit dem sechsten Tag unserer Tour nicht mehr so niedrig, damals aber – es sei nochmal in Erinnerung gerufen – bin ich auch mit einem gebrochenem Tretlager durch Südböhmen gegurkt.

Inzwischen sind wir aber wieder auf Asphalt unterwegs und müssen daher nicht so viel Kraft in das ewige Hin und Her zwischen Küste und Dörfern im unmittelbaren Hinterland aufwenden. Innerhalb weniger hundert Meter kann sich dabei die Landschaft grundsätzlich ändern. Am Meer sieht es aus, wie an jedem Meer auf dieser Welt eben aussieht: Strand und Häuser. Weiter entfernt sind da diese roten Felsen und kleine, trübe Seen dazwischen in den Schluchten. Auf dem Marmarameer sieht man viele große Tanker, die auf dem Weg zum Bosporus und zum Schwarzen Meer sind. Ein paar Mal geht es noch steil an die Küste zurück und einmal auch wahnwitzig steil wieder hinauf in die Marslandschaft, so dass man fast, aber nur fast, absteigen und schieben muss. Dann sind wir wieder auf der Erde angekommen, eine normale Stadt mit normaler Infrastruktur erwartet uns: Sarköy. Das Umherirren hat nun ein Ende. Karte und Realität stimmen wieder miteinander überein und eine Straße geht, wie es sich gehört, an der Küste entlang. Auch die Tankstelle ist da und wir nutzen sie zur Erleichterung.

Als ich wiederkomme führt Konrad Smalltalk mit den Einheimischen. Was Aufgrund der Sprachbarriere eigentlich unmöglich sein musste. Doch der eine Türke, er ist in seinem besten Jahren,  spricht fließend deutsch, lebte viele Jahre in Deutschland, ging da zu Schule und wuchs  dort auf. Er berichtet Konrad von der aktuellen Trockenperiode, die uns auch schon allerorts aufgefallen war. Konrad erzählt ihm von der Radreise und beantwortet die Frage, wie ihm die Türkei gefalle, mit großem Heimweh nach Deutschland. Der Türke erzählt daraufhin eine Anekdote aus seiner Schulzeit in Deutschland: Der Lehrer habe ihn gefragt, was schöner sei: Deutschland oder die Türkei. Er antwortete damals, obwohl er in Deutschland schon sein ganzes Leben lebte: „Natürlich die Türkei“. Der Lehrer war verwundert, darauf gab der Türke: „Es ist doch die Heimat.“ Und da hat er so sehr Recht. So viel schönes haben wir auf unserer Reise gesehen, so viele nette Menschen sind uns begegnet, aber niemals würden Konrad oder ich Deutschland den Rücken kehren, denn da ist es am allerschönsten auf der Welt. Nur merkt man das erst, wenn man einige Zeit nicht mehr da war und aus der Ferne dann zurückdenkt an die Heimat. An Sachsen. An Dresden. An Zuhause.

Wir fahren nun die Küstenstraße recht idyllisch entlang und passieren dabei die Orte Mürefte und Güzelköy, wieder liegen sie anders als auf der Karte verzeichnet, aber dank des Meeres und der Straße und der Menschen kann man sich nicht mehr verirren. Am Wegesrand entdecken wir nun immer öfter Feigen- und Olivenbäume. Überhaupt ist es hier in der abendlichen Stimmung jetzt so wie es mir vorgestellt hatte. Ruhig radeln wir dahin, rechts das Meer und links die immer steiler und höher werdenden Felsen. Einzig wird die Stimmung dadurch gestört, dass Konrad wieder seinen Reisedurchfall aus Bulgarien bekommen hat und auch ich inzwischen in jedem Ort die Örtlichkeiten für einige Zeit aufsuchen muss. Wir wollen daher schnellstmöglich den Tag auf dem Rad für beendet erklären und suchen einen Zeltplatz.

Inzwischen hat sich aber die Struktur der Landschaft in soweit verändert, dass direkt neben der Straße das Meer beginnt und auf der anderen Seite die steile Felswand sofort da ist. Gut auf einem schmalen Streifen Geröll könnte man zwar campieren, aber doch bitte nur im aller äußersten Notfall. Wir schlängeln uns um Kurve und Kurve weiter die Küstenstraße entlang und haben schon fast die Hoffnung aufgegeben, irgendetwas Annehmbares zu finden, als wir schließlich ein paar Bäume erspähen. Beim näherkommen sind es nicht nur Bäume, sondern eine vielleicht zweihundert Meter breite Schlucht in den Felsen, auf deren Grund ein paar Häuser gebaut sind und sogar ein Campingplatz ist hier plötzlich ausgeschildert. Eine kleine Oase am Meer. Sogar ein Restaurant gibt es hier. Wir fragen ob wir das Zelt aufstellen dürfen und man weißt uns einen Platz zwischen verknurrten Bäumen, auf spärliche bewachsenem Grund, direkt am Meer zu. Ein Klo ohne Klopapier gibt es auch. Duschen aber nicht. Wir wollen wissen, was der Mann für die Nacht haben will und erwarten wie gestern Abend auch, ein Abwinken, worauf wir dann ein oder zwei Bier bestellt hätten und Quitt wären. Doch er meint, dass der Besitzer ungefähr 20 türkische Lira, also 10 Euro, verlangen könnte. Komisch. Warum nur so ungefähr und warum hat der Besitzer dieses Minizeltplatzes auch noch einen Sprecher der für ihn die Verhandlungen führt? Wir wittern etwas in der Luft und fragen, ob dass hier wirklich der ausgeschilderte Zeltplatz sei. Der Mann meint, es gebe um die Ecke noch einen Zeltplatz, ihm sei egal, wenn wir dorthin gehen würden. Wir prüfen es. Einen weiteren Minizeltplatz, mit ähnlicher spärlicher Ausstattung, finden wir vor. Der Preis? 20 türkische Lira. Ein Preiskartell! So wird das nichts mit dem EU-Beitritt der Türkei.

Wir gehen wieder zurück und bauen unser Zelt bei dem Sprecher des ersten Zeltplatzes auf. Der Untergrund ist zwar steinhart, aber die Lage ist echt schön. Direkt am Meer, geschützt unter Bäumen.  Im örtlichen Restaurant sitzt wieder der Sprecher und als wir ihn nach Preisen für Speisen oder Getränke hier fragen, faselt er weiter nur so undurchsichtiges Zeug: Er müsse erst jemanden fragen, wir sollen aber schon mal bestellen. Äußerst dubiös. Das geringste Risiko ist in unseren Augen eine Melone, die wir da rumliegen sehen. Der Preis? Muss erst erfragt werden. Als wir sie gegessen haben und nichts Weiteres bestellen wollen, kostet sie wie alles hier, 20 türkische Lira. 10 Euro für ‘ne Melone die er hier bestimmt irgendwo nur aus seinem Garten gepflückt hat. Wir fühlen uns übers Ohr gehauen und ziehen uns zum Zelt zurück. Wir sind einem Monopolisten aufgesessen, der zwei kleine Flächen Land als Zeltplätze deklariert hat um den Schein eines freien Konkurrenzmarktes zu waren. Wie MediaMarkt und Saturn, die beide zum Metrokonzern gehören und dennoch so tun, als ob sie beide einen brutalen Preiskampf gegeneinander führen würden. Hier kommt nun noch erschwerend hinzu, dass auch das Restaurant, als einzige Nahungsbeschaffungsstelle im Ort,  in der Hand des Monopolisten von Uçmakdere ist, welcher für alle seiner Leistungen den Einheitspreis von 20 türkischen Lira verlangt. Die kann er sich gerne morgen früh abholen. Oder er schickt seinen Sprecher, vermutlich auch nur eine Personalunion, aber wir werden nicht auf ihn warten. Wenn wir morgen früh alles abgebaut und verstaut haben, fahren wir los. Und morgen früh werden wir unser Zelt sehr, sehr, sehr leise abbauen und wir werden auch sehr, sehr, sehr früh los fahren, dass steht fest.

Wir setzen uns am Abend noch eine Weile ans Meer, praktischer Weise stehen da nämlich ein Tisch und zwei Stühle, und warten bis die Sonne untergegangen und es stockfinster geworden ist. Das Meer rauscht leise über die Kieselsteine des Strandes. Man sieht die Lichter einer Insel und der großen Containerschiffe die am Horizont vor Anker liegen. Der Mond steht hoch über uns und die Sterne erwachen langsam. Was war das heute für ein merkwürdiger Tag.

 

#29

Sonnabend, 13.09.2008

Uçmakdere - Tekirdag – Kumburgaz

126,7km

7:09 h

av. V = 17,7 km/h

↗ 1336 hm

↘ 1324 hm

av. P = 100 W

24°C - 28°C, bewölkt, ab Nachmittag heiter

n.V.

 

Einem hochpräzisem Spezialkommando gleich, packen wir blitzschnell und lautlos unser Lager zusammen und schieben die beladenen Fahrräder zurück auf die Straße, springen auf und knallen los. Es ist gegen 7 Uhr. Die kleine Siedlung des Monopolisten haben wir im Nu hinter uns gelassen und freuen uns diebisch, dass wir nun die sind, die am Ende lachen. Die 20 Yitel - so nennen wir die türkischen Lira auf Grund ihrer Abkürzung YTL liebevoll - für die Nacht haben wir gespart. Unsere Straße führt uns nun vom Meer weg und bei leichtem Anstieg in das grüne Tal hinein, welches zwischen den schroffen Felsen entstanden ist. Direkt an der Küste wäre es nicht weitergegangen, weil die Steilküste, wie der Name schon sagt, steil ab bis ins Meer hinein fällt und nicht einmal Raum für einen Weg lässt. Am Rande der Straßen wachsen wieder Feigenbäume und heute tragen sie auch endlich reichlich reife Früchte. Ich komme an Feigen nicht heran, aber Konrad schlägt sich erst einmal richtig den Wanzt mit diesen Früchten voll.

Nach nur etwa ein bis zwei Kilometern erreichen wir am Ende des Tales den eigentlichen Ort Uçmakdere. Unsere Nacht hatten wir quasi nur an dem Küstenvorposten des Dorfes verbracht, welches dann aber auch nicht viel größer ist. Ein paar Häuser mehr stehen hier, einige davon auch uralt und aus Holz, sowie einen kleiner Laden, mehr finden wir nicht vor. Die alten Männer des Dorfes sitzen auf einer Bank am Straßenrand, beobachten unsere Ankunft und rauchen sich die Lunge frei. Unser Blick fällt auf eine schmale Straße, die sich steil am Rand des Berges hinaufzieht. Ein kleines Wunder ist es schon, dass sich dort und bis hoch der Platz dafür gefunden hat. Ein Auto kommt zügig darauf ins Tal gebrettert und wirbelt eine große Staubwolke hinter sich auf. Unsere Angst, dass es ein Schwager des geprellten Zeltplatzbesitzers ist, der nun gerufen wurde uns zu suchen, verfliegt schnell als er sich nicht für uns interessiert, sondern seinen Platz bei den anderen Männern einnimmt und eine ganz ruhige Kugel schiebt.

Nachdem Frühstück will es unser Karma eben so, dass wir alternativlos die Schotterpiste hinauf müssen, aus der eben der Wagen hinab geklappert kam. Frühmorgendlich ist der Körper von der Nacht auf dem harten Untergrund noch eingerostet und das Marmeladenbrötchen noch nicht verdaut und in Wadenenergie umgewandelt worden und so fällt es schwer die Aussicht auf die urwüchsige Landschaft zu genießen. In langgezogenen Serpentinen geht es auf dem Schotterweg hochhinaus, begleitet werden wir nur von der Stromleitung, welche das Dorf mit der restlichen Zivilisation in Verbindung hält. Einmal kreuzen wir auch den Weg einer Ziegenherde die auf einem nur ihnen bekannten Pfad vom Meer hinauf kommen und nun klaglos weiter ziehen. Uns ist ganz anders zu Mute: Teilweise weißt unsere Piste solche Steigungen auf, dass das Hinterrad des Fahrrades trotz der schweren Gepäckträgertaschen durchdreht und wir nicht weiterkommen. Flüche hallen durch die einsame Landschaft zwischen Bergen und Meer. Serpentine um Serpentine geht es langsam hinauf. Die Luft ist diesig, der Horizont des Meeres ist unscharf und verschwimmt mit dem Himmel. Es ist durchaus nicht unangenehm, denn sengende Hitze würde die Sache hier und heute nicht leichter machen. Die Reifen knirschen über die groben Steine. Der Fahrradcomputer zeigt Geschwindigkeiten im einstelligen Bereich an, nur der Höhenmesser scheint unsere Leistung zu honorieren: 400 Meter sind wir nun schon über dem Meer. Manchmal geht es direkt neben der losen Piste hunderte Meter hinab in karge Schluchten, zerschellte Autowracks zeigen, dass man sich eher nicht im Grenzbereich der Geschwindigkeit bewegen sollte, aber wie gesagt: wir bleiben einstellig und zwar deutlich.

Hinter jeder Kurve erhoffen wir irgendetwas zusehen, was uns Freude macht: Eine Asphaltstraße vielleicht oder ein Dorf oder auch nur ein Schild, welches uns sagt, dass wir noch richtig sind und dass das alles hier Sinn macht. Hin und wieder erinnert mich Konrad an unsere Diskussion von gestern morgen, in welcher wir den weiteren Tourverlauf thematisierten. So mühsam und zäh hatte ich es tatsächlich nicht erwartet, denn schon bald ist es Mittag und wir sind auf der Karte immer noch zwischen unserem Startort und dem nächsten Dorf. Wer weiß wo wir jetzt fahren würden, wenn wir gestern der direkten Transitstraße gefolgt wären. Mit Sicherheit wäre Istanbul deutlich greifbarer, als hier und jetzt in dieser Pampa.  Auf der anderen Seite hat diese Gegend aber auch einen Charme und einen Reiz, den man ihr nicht abschreiben darf. Denn ständig fällt der Blick auf das blaue Meer, welches sich vom verstaubten Braun der Landmasse abhebt. Links und rechts der Piste ist unwegbares Gelände und immer wieder kann man etwas entdecken, wie zum Beispiel einen kleinen Canyon der in regenreicheren Jahreszeiten als Abfluss zum Meer dient oder einer Quelle die in ein Becken in Badewannenform fließt. Außerdem kommen nur sehr selten andere Verkehrsteilnehmer diese Piste entlang und wir haben ansonsten Ruhe.

Irgendwann erreichen wir Yeniköy, das zweite Dorf des Tages, welches geschützt in einer Senke liegt in der auch Grünes wächst. Die Häuser sind verschlafen und verwinkelt in die bergige Landschaft gebaut, sie haben kleine Gärten und Tiere. Einen Laden finden wir keinen. Ein paar mal geht es noch kurz auf und ab durchs bergige Hinterland, dann ist die Straße endlich wieder mit einem festen Asphaltband bezogen und führt in einer waldigen Abfahrt hinab ans Meer. Einmal noch begegnen wir einem Hund, bereiten uns mit Eisenkette und Pfefferspray fast schon routinemäßig auf dieses Aufeinandertreffen mit ihm vor. Als wir dann aber laut schreiend auf ihn zu stürzen, springt er über ein Mäuerchen davon und sucht das Weite. Er wird sich gewundert haben, was hier gerade vor sich ging, mit soviel Aggressivität ist ihm wohl noch niemand über den Weg gelaufen. Aber bei Hunden muss man – und wenn wir nur eine Lehre aus dieser Reise ziehen sollten – immer tierisch aufpassen und immer von der bösesten Bestie ausgehen.

Die Abfahrt führt uns zurück ans Meer und in den Küstenort Kumbağ. In Kumbağ fühlt man sich wieder wie in der Realität und zurück in der Welt wie man sie kennt. Ein Städtchen mit allen drum und dran, wie es überall in Südeuropa am Meer stehen könnte. Ein kleiner Fischereihafen ist da, ansonsten ein schöner Sandstrand und ansonsten hauptsächlich Zweckbauten. Erwähnenswert sind vielleicht die alten Holzhäuser, die typisch für diese Gegend sind oder besser: lange vor unserer Zeit typisch waren. Jetzt findet man sie noch vereinzelt, aber eigentlich nur im verfallenen Zustand. Dennoch kann man sich mit ein wenig Phantasie vorstellen, wie es hier vor einhundert Jahren ausgesehen haben könnte. In einer Zeit, in der hier das Osmanische Reich begann und bis Ägypten reichte. Jeder Ort war weitestgehend für sich allein und nur umständlich über den Landweg zu erreichen. Man hat das Gefühl die Megastadt Istanbul zieht seit je her alle Aufmerksamkeit auf sich, so dass kleine Städte in der “Nähe“ gar nicht erst versuchen, Besonderheiten zu entwickeln und sich selbst in den Fokus stellen. Egal ob Kumbağ, Barbaros oder Tekirdağ - wie die folgenden Städte, die wir an der Küste durchfuhren hießen – eine Stadt gleicht der nächsten und keine bleibt groß in der Erinnerung hängen und dabei ist letztgenannte über 100.000 Einwohner groß. Wir kommen von nun an zwar hügelig, aber dennoch zügig vorwärts. Verfahren wäre ein Ding der Unmöglichkeit, weil die Straße die Küstenorte recht direkt verbindet.

In Tekirdağ treffen wir auf die Transitstraße aus Keşan und folgen ihr ostwärts. Der Verkehr nimmt deutlich zu, wir fahren in den Orten auf Gehwegen und außerhalb auf dem Standstreifen, so dicht wie möglich an der Leitplanke. Die Rahmenbedingungen für die Fahrt am Marmarameer entlang, sind alles andere als schön: die Luft ist erfüllt mit Abgasen, die nur wenig Platz für Sauerstoffmoleküle zulassen, es ist laut und hektisch, monotoner und endloser Verkehr rattert an unserer rechten Seite vorbei, Müll liegt am Rand der Straße und dem Brachland bis hin zu den ersten Grundstücken, auf denen aber auch nur selten Grünes wächst. Wozu auch? Wir haben das Gefühl, dass das Bruttoinlandsprodukt der Türkei komplett am Rande dieser Straße erwirtschaftet und gleich wegtransportiert wird. Und dennoch sind wir guter Dinge, wir verspüren beide eine unheimliche Kraft, die uns voran treibt. Die Zahl der Kilometerangaben bis Istanbul, die uns ständig die blauen Schilder anzeigen, sinkt stetig. In Tekirdağ  sind es noch 150 Kilometer bis zum Ziel, ein halbe Stunde später sind es nur noch 135 Kilometer, im nächsten Ort sinkt die Zahl auf 130 Kilometer. Wie Eis in der Sonne schmilzt die Zahl. Wir sind auf der Zielgeraden und nichts und niemand und erstrecht keine Hügel kann uns jetzt mehr aufhalten. Selbst das permanente und wohl obligatorische Hupen der motorisierten Verkehrsteilnehmer wird von den Endorphinen in Fanfaren umgedeutet. Im Kopf beginnen nun Rechenspielchen, die an den Physikunterreicht der sechsten Klasse erinnern:

Wenn ich konstant 25 Kilometer pro Stunde fahren würde, was man im Moment als realistisch einzuschätzen ist, bräuchten wir noch: (130 geteilt durch 25) Stunden. Das sind dann also fünf Stunden und 5/25*60 Minuten… ach hätte mein Fahrradcomputer doch neben seinen unzähligen Funktionen, auch noch eine Taschenrechnerfunktion … 12 Minuten, es wären noch 5 Stunden und 12 Minuten. Vier Wochen sind wir bis hierher unterwegs gewesen und nun sind es nur noch läppische fünf Stunden und winzige zwölf Minuten reiner Fahrradfahrzeit bis das Ende von Europa aus eigener Muskelkraft heraus erreicht  ist. Der Gedanke ist noch unvorstellbar, aber traumhaft schön.  Gerade ist es 13 Uhr, wir würden also noch vor Sonnenuntergang in Istanbul ankommen, wenn wir einfach nur die gesamte Zeit eisern wie eine Dampflok durchtreten. Was seh‘ ich da? Ein blaues Schild! Konrad erkennt die weiße Zahlen immer viel eher als ich: „128“ ruft er, einem Countdown gleich. 128 Kilometer bis Istanbul. Und wieder geht es im Kopf los: 128 geteilt durch 25 sind… und so weiter. Zum Glück reicht es uns in dieser Modellrechnung, dass wir davon ausgehen können, dass keiner niemals bremst oder bergab schneller wird. Beschleunigungen, vielleicht auch noch ungleichmäßige, gehen hier jetzt nicht zu berechnen. Man muss sich auf die Sechstklassenphysik beschränken und merkt dabei, dass man eben doch fürs Leben und nicht für seine Lehrer, Eltern oder Noten lernt. Zumindest im Physikunterreicht der sechsten Klasse.

Ja, im Geiste haben wir nun die hinreichend begründete Hoffnung, dass wir heute Abend noch bis nach Istanbul kommen. Man muss es ja nicht bis in die Blaue Moschee schaffen. Es reicht ja, wenn man am Rande der Stadt einen Zeltplatz findet, wo das Lager aufschlagen werden kann und um dann seelenruhig mit der Gewissheit einzuschlafen, dass man es endlich geschafft hat. Am nächsten Tage schlendert man dann gemütlich wie ein Pauschaltourist in die nächste Straßenbahn und dreht bequem seine Sightseeing-Runden. Denn der Gedanke, dass man als schutzloser Radfahrer in diesem wahnsinnigen Verkehr bis ins Herz der Weltstadt hineinstoßen soll, ist schlicht nicht vorstellbar. Es soll schon Radreisende gegeben haben, welche sich die letzten zweihundert Kilometer komplett geschenkt haben und im Bus den Abschluss dieser langen und überwiegend grandiosen Reise fanden. Das wollen wir wahrlich nicht, aber diese Exit-Strategie, so unglaublich sie aus der Ferne auch scheinen mag, wird verständlich, wenn immer wieder unerwartet von rechts eine mehrspurige Zufahrt den Standstreifen – und unsere Schutzzone -  durchdringt und jäh beendet und wir somit plötzlich im Rausch des Verkehres hilflos umzingelt sind. Tonnenschwere Sattelzüge knallen links und rechts vorbei, PKWs wechseln blitzschnell in jede freie ihnen sich bietende Lücke, wild wird von allen Seiten gehupt und keine Sekunde hat man die Zeit innezuhalten um aus diesem ständigen Strom auszusteigen. Einmal macht sich ein Spaßvogel auf einem Beifahrersitz einen Jux und kickt mit seinem Fuß aus dem geöffnetem Fenster nach Konrads Kopf. Auch wenn er ihn nicht trifft und hoffentlich auch nicht treffen wollte, sitzt der Schreck tief in den Knochen. Man, was soll die Scheiße? Ich muss nicht erwähnen, dass wir auf diesem Teilstück der Strecke ständig die Helme trugen, auch wenn der Wind in den Haaren die einzig verbliebene Freude war. Die Helme fuhren wir zu 95 Prozent der Tour, auf unser Gepäck geschnallt, einfach spazieren. Aufgesetzt haben wir sie eigentlich nur, wenn es in rauschende Abfahrten ging, zum Beispiel am Troyan-Pass oder wir im Verkehr einer Großstadt, wie hier die schwächsten Teilnehmer waren.  Leider verschwindet das Auto mit dem Übeltäter schnell im Verkehr und so muss die Wut innerlich verpuffen. Fast, den als kurze Zeit später Konrad am Rand stehend von einem Auto angehupt wird, obwohl er sich schon wirklich so weit wie Möglich an die Leitplanke gedrückt hat, brüllt er den Autofahrer zusammen. Dieser indes weiß nicht wie im geschieht, da er eigentlich nur helfen wollte, wie sich später herausstellt. Gut und Böse sind dicht beieinander und nicht voneinander zu unterscheiden und so sind Kollateralschäden eben nicht zu vermeiden. Sorry.

Als wieder einmal ein blaues Schild die Entfernung nach Istanbul auf nur noch 85 Kilometer schätzt, beschließen wir uns eine Auszeit zu gönnen. Es ist schon 15 Uhr und wir haben mächtigen Kohldampf und außerdem wollen wir dem ganzen Chaos einfach mal entfliehen. In Marmaraereğlisi, einem Fischerei und Tourismusort, fahren wir ab und setzen uns an der Uferpromenade in ein Restaurant und speisen. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass wir uns nun schon genügend gemüht haben und nun mal andere für uns arbeiten können. Dem Kellner des Ladens erstellen wir der Einfachheit halber einen Freischein: Er soll uns einfach irgendwas bringen. Ob das eine gute Idee war, wird sich später herausstellen. Jetzt sitzen wir einfach mal da, auf Stühlen, trinken Wasser aus Gläsern, genießen den Augenblick des Nichtstuns und nebenbei stöbern wir im Istanbul-Reiseführer.

Irgendwie haben wir uns auf die Ankunft kaum vorbereitet. In vier Tagen erst geht unser gebuchter Rückflug und was wir bis dahin machen und unternehmen, ist noch völlig Ungewiss. Wir erfahren so, dass das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs in dieser Stadt recht kompliziert ist: Es gibt keine flächendeckendes Straßen- oder U-Bahn. Vielmehr muss man diese noch mit Minibussen, Sammeltaxis, Fähren und Vorortbahnen kombinieren.  Was durchaus eine Herausforderung darstellt, da man wohl kaum Pläne des Netzes vorfindet. Nun ja, wir werden es erleben. Als nächstes versuchen wir ein paar Worte Türkisch aus dem Anhang des Buches zu lernen. Den ersten Versuch starten wir indem wir den Kellner fragen wo die Moschee sei. Laut Buch heißt Moschee Cami. Und laut Ausspracheregeln, sollte wir mit Dschami eigentlich verstanden werden. Der Kellner versteht uns aber partout nicht und blickt uns nur achselzuckend an. Weitere Versuche scheitern auch kläglich und so geben wir ihm einfach unseren Fotoapparat und lassen uns hier beim einzigen Restaurantbesuch der Reise fotografieren. Jetzt denkt er, wir meinten genau das mit Dschami und braucht nicht länger zu grübeln. Wir indes beenden hiermit für uns das Kapitel des Türkisch Lernens.

Das Essen (verschiedene Fleischsorten, viel Salat und delikate Teigröllchen) war lecker und reichhaltig, der Preis am Ende auch okay und so ziehen wir nach einer Stunde weiter. Die Moschee fanden wir indes nicht, vielleicht gibt es hier auch keine, aber das ist sehr unwahrscheinlich, denn von der Straße aus sieht und hört man ständig Moscheen. Nur scheint sich kein Mensch dafür zu interessieren. Irgendwie hatte ich schon erwartet, dass ich den ein oder anderen Muslimen sehe, der alles stehen und liegen lässt und zur Moschee eilt oder sich einen Teppich schnappt und ihn gen Mekka ausrichtet. Aber nichts dergleichen passiert, stattdessen frönt jeder weiter seinem Tagewerk. Wir auch. Zurück in den Krieg der Europastraße 84. Hinter Silvri, etwa zwanzig Kilometer nach dem Mittagsmahl, verbindet sich diese Straße mit einer weiteren Europastraße und fusioniert zu einem Ekspres yol, was einer Schnellstraße entspricht.

In Silvri, wurde vor 1500 Jahren die Anastasiusmauer bis hinauf zum Schwarzen Meer gebaut. Sie ist eine der eine der größten Verteidigungsanlagen der Antike im kontinentalen Europa und durchaus mit dem Hadrianswall in Engalnd vergleichbar. Bis zu vier Meter hoch und bewacht durch einige Festungen war dieses Bollwerk. Leider fallen immer wieder Abschnitte dieser Mauer dem Straßenbau zum Opfer und so lesen wir zwar von ihr, doch bekommen sie nicht zu Gesicht. Wenn ich schreibe, dass wir hier in der Stadt Silvri sind, dann tue ich das, weil es auf der Karte so geschrieben steht. In der Realität sind wir die ganze Zeit in städtisch bebauten Gegenden unterwegs, die so ineinander verwachsen sind, dass man nicht weiß, wann man die eine Stadt verlässt und in die nächste hineinkommt. Auf der Schnellstraße macht es ja sowieso keinen Unterschied, da man einfach nur gerade aus fährt, wobei das Streckenprofil weiterhin hügelig dahin wellt.  

Wir halten inzwischen bereits die Augen nach einem Zeltplatz aus, da dass heute nichts mehr mit Istanbul wird. Zwar kann man vermutlich die Stadt schon sehen, irgendwo wird sie urplötzlich beginnen, wie all die anderen Städte, aber leichter wird das finden eines Zeltplatzes da sicher auch nicht und Nächtens durch die Straßen zu irren, stellen wir uns nicht wirklich entspannend vor. Laut Karte müssten hier überall Campingplätze sein, aber kein Schild weißt vor Ort daraufhin. Immer wieder fahren wir von der Schnellstraße ab und irren durch die Straßen, Gassen und Wege, finden aber nicht mal ein Plätzchen zum wildcampen. Die Menschen die wir fragen, sind freundlich wissen aber auch nur, dass gerade hier kein Zeltplatz ist. Nicht mal am Meer findet sich etwas, da überall bis ans Wasser gebaut worden ist. Auf einem Parkplatz der ebenfalls bis ans Wasser reicht, spricht uns ein deutsches Urlauberpaar an. Vage meinen sie sich daran erinnern zu können, dass in Kumburgaz, etwa zehn Kilometer weiter, ein Schild auf einen Zeltplatz weist.

Auf ihr Wort war Verlass und so erreichen wir zum Sonnenuntergang den Platz. Den ersten Eindruck schlucken wir einfach regungslos hinunter, denn außer Betonboden und schlecht und dicht zusammengezimmerten Bungalows ist nichts zusehen. Die Besitzerin dieser wenig einladenden “Anlage“ fragt sich auch, was wir hier wollen. Wir zeigen ihr das Zelt, sie überlegt hin und her und führt uns schließlich an den Strand. Von all dem was wir bis hierher gesehen haben, ist das auch mit Abstand der schönste Fleck, wenn auch bei weitem nicht so idyllisch, wie letzte Nacht: Bis zum Horizont ist am Meer entlang in beide Richtungen alles zugebaut. Wir bauen routiniert das Zelt auf und sind uns bewusst, dass es zum letzten Mal nur ein Provisorium für eine Nacht werden wird. Waschen wollen wir uns erst im Meer, aber als dann ein gebrauchtes Kondom angeschwappt kommt und die Füße ständig auf irgendwelche unidentifizierbare Gegenstände in der trüben Suppe treffen, wird der Plan verworfen und wir suchen die Duschen, nach denen wir die Frau noch gefragt hatten. Zwischen einer Mauer und dem Abwasserkanal führt der kurze Weg zu den Duschen an dessen Ende auch noch eine zerfleischte Taube von Fliegen belagert wird. Die Dusche an sich wird in ihrer Ekligkeit von nichts bisher gesehenem übertroffen. Dazu der Geruch von Urin, Exkrementen und dem Abwasserkanal. Den das Geschäft verrichtet man hier direkt unter Dusche, stehend oder hockend in ein Loch in den Boden hinein. Zu allem Überfluss kommt auch noch ein kleiner Junge um die Ecke und will von uns Geld fürs Duschen abkassieren. Wortlos führe ich ihn an der Taube vorbei zur Zeltplatz-Chefin, die wohl auch seine Mutter ist. Sie klärt die Sache zu unseren Gunsten. Das duschen lassen wir dann dennoch, ich möchte ja nicht der erste Europäer sein, der nach 500 Jahren wieder an der Pest erkrankt.  Und hier in diesem Loch braut sich ganz Gewiss eine solche Krankheit zusammen, auch wenn es hart klingen mag, waren hier Ratten gewiss nicht weit.

So endet der Tag mit einem komischen Gefühl in der Magengegend. Schlafen können wir dennoch sehr gut, wohl auch weil dieser Tag der bergigste unserer gesamten Tour war. Mit 1336 Höhenmetern, verweist er den Tag durchs Balkangebirge (1267 Höhenmeter) und den Tag hinter Prag durch Südböhmen und den Böhmerwald (1217 Höhenmeter) knapp auf die Plätze. Morgen erreichen wir das Ziel, bis Istanbul hinein sind es noch höchstens 50 Kilometer und dann ist es geschafft.

 

#30

Sonntag, 14.09.2008

Kumburgaz - Istanbul

63,8km

4:06 h

av. V = 15,5 km/h

↗ 478 hm

↘ 480 hm

av. P = 60 W

26°C - 35°C, Gegensturm, bewölkt, später sonnig

n.V.

 

In der Nacht hat sich die Stelle des Strandes, wo unser Zelt nun mal steht, zum Treffpunkt von einigen Nachtschwärmern entwickelt. Ganz wohl ist mir dieser Gedanke nicht gewesen, aber die Faulheit des Schlafes hat mich davon angehalten die Lage genauer zu sondieren. Erst gegen Morgen war deren Tag vorbei und nur noch einige leere Bier- und Weinflaschen blieben als Zeugen zurück. Keiner von uns beiden fand heute den Antrieb als erster Aufzustehen und langsam mit einpacken zu beginnen. An all den andern Tagen erhöhte so immer einer von uns beiden den Druck auf den jeweils anderen endlich aufzustehen. Heute war dem nicht so, wozu auch? Selbst, wenn wir bis Mittag weiterschlafen würden, wären die fünfzig Kilometer bis Istanbul recht schnell erledigt und man wäre da. Die Schnellstraße dahin hatte auch wenig Verlockendes zu bieten und so zog sich das erwachen lange hin. Im Zelt wurde es indes immer enger, da die Wände schlaff vor sich hin hingen. Nicht nur bei den nachtaktiven Jugendlichen ging es stürmisch zu, auch das Wetter hat sich dem angepasst und es ist ziemlich windig geworden, so dass die Heringe des Zeltes im losen Sand nicht länger Halt fanden.

Die Neugierde danach, ob die Fahrräder und mit ihnen alles andere noch ist, ließ den Tag dann auch für uns beginnen. Wir packten gemächlich unser Nachtlager ein und fuhren los. Auf dem Weg gestern standen am Straßenrand unzählig viele Melonenhändler, die von den Ladeflächen ihrer Melonenlaster riesige Berge der leckeren Früchte verkauften, heute fanden wir aber keine mehr. Schade, denn eine frische Melone zum Frühstück, wäre schon eine tolle Sache. So wir kauften wir unser Frühstück auf konventionelle Art und Weise in einem Laden und aßen es sogleich an der Schnellstraße auf Europaletten sitzend mit Blick auf die Klimaanlage des kleinen Supermarktes.

Der Wind kam heute aus Osten, blies also vor uns schon den Istanbulern um die Ohren. Beim Weiterfahren orientierten wir uns einzig an den Schildern die zum Atatürk Havalimanı, dem größten Flughafen der Stadt hinwiesen. Was wichtig war, da die einst so eindeutige Schnellstraße im Gewusel der Stadt aufzugehen schien. Immer wieder teilte sie sich in zwei, drei, vier Bahnen, die auf Brücken führen oder die Richtung änderten. Kaum vorstellbar dass hier irgendein Mensch tatsächlich durchsieht. An den Verkehr konnte man sich schon fast gewöhnen. Wichtig ist, dass man einfach immer Stur seine Linie durchzieht. So ist man auch für die Autofahrer viel berechenbarer. Sollte man dann durch eine große Einmündung wieder einmal in der Mitte der sechsspurigen Verkehrsader landen, ist es eher gefährlich, wenn man sich krampfhaft an den rechten Fahrbahnrand zurück kämpfen will. Irgendwann wird sich eine Lücke im ständigen Verkehrsstrom auftun und die krallt man sich dann. Absichtlich wird ein schon kein Mensch über den Haufen fahren. Man muss selbstbewusst ein Teil dieses Systems werden, man muss sich integrieren und darf kein Fremdkörper sein, der sich nur zaghaft und unsicher vorwärts tastet. Die anderen Verkehrsteilnehmer akzeptieren einen unter ihnen. Auch sollte man das ewig andauernde Rumgehupe einfach ignorieren, es  hat ja doch keine Bedeutung und stresst nur unnötig.

Der Wind schlägt konstant von vorne an, in Böen hat man an diesem Vormittag sogar Probleme überhaupt vorwärtszukommen. Irgendwie hat man das Gefühl, als sollte es einem heute nicht zu leicht gemacht werden. Zudem sind die Hügel des welligen Profils auch so kurz vor dem Ziel eine zusätzliche und verlässliche Bremse. Zweimal finden sich zwischen diesen Hügeln Täler die so tief liegen, dass Seen oder Buchten entstehen. Diese topografisch markanten Stellen bieten die einzig verlässliche Möglichkeit der Orientierung. Dazwischen ist das Straßenlabyrinth nur durch konsequentes Folgen des Flughafenzeichens zu lösen. Wann hier irgendwo die Stadt Istanbul begann, ist nicht zusagen. Ein Ortseingangsschild oder etwas Vergleichbares gibt es nicht. Vielleicht waren wir schon seit einer Stunde in der Stadt selber, man weiß es nicht. Kurz vor dem Flughafen, als man die startenden und landenden Flugzeuge schon groß sah, änderten wir die Navigationsstrategie, da unser Flughafen ja bald wegfallen würde. Wie beschlossen uns für am Ziel angekommen zu erklären und fuhren auf direktestem Wege zum Marmarameer. Was gar nicht so einfach war, da das von den Stadtplanern nicht vorgesehen war. Ein kleiner Scherz: Ganz sicher plante das hier kein Mensch, Istanbul in seiner Masse ist einfach so entstanden. Am Meer, so der Plan, wollten wir einen Zeltplatz suchen und dann nur noch mit einer Vorortbahn, deren Schienen wir hier sahen, ins Zentrum fahren.

Doch wir fanden weder einen Bahnhof noch einen Zeltplatz. Stattdessen wurden wir, wie Asterix und Obelix bei ihrem Versuch den Passierscheins A 38 zu erhalten, hin und her geschickt. Mal sollten wir die Straße in die eine Richtung fahren, dort angekommen, sagte man uns der Zeltplatz läge genau in der anderen Richtung und so ging es immer wieder hin und her. Um nicht wahnsinnig zu werden, den das ist ja das Ziel bei dieser Aufgabe von Julius Cäsar die er Asterix und Obelix stellt um zu prüfen, ob sie Götter seien, beenden wir das Spiel. An den Gleisen der Vorortbahn, die küstennah bis ins Zentrum führt, fahren wir immer weiter in die Stadt hinein. Wir halten die Augen zwar stets offen, finden aber keinen Zeltplatz. So erfragen wir nach und nach auch bei Hotels den Preis für zumindest eine erste Nacht. Dabei verlieren wir uns in dem schier unbegreiflichen Netz von Straßen sogar für kurze Zeit, eher durch einen Zufall fahren wir uns wenig später wieder über den Weg. Das wäre ja was geworden, wenn man sich in diesem Durcheinander wiederfinden will, man weiß ja selbst nicht wo man ist.

Die Preise pro Nacht lagen immer ungefähr bei einhundert Euro pro Person und das war dann doch ein wenig zu dick für uns. Und so fuhren wir immer weiter in die Stadt hinein, immer mit Blick zum Wasser, damit wir uns nicht radikal verfahren. Teilweise auf Fußwegen, dann wieder im Verkehr, es ist egal. Irgendwann gibt es zwischen der Küstenstraße, die im Übrigen nach John F. Kennedy benannt ist und dem Marmarameer eine Uferpromenade mit kleinen parkähnlichen Grünflächen auf die wir ausweichen können. Zwar kommen wir nur noch im Fußgängertempo vorwärts, denn es ist Sonntag und alle die nicht gerade Auto fahren und hupen, spazieren hier mit ihrer Familie entlang, aber dafür hat man auch mal einen Blick für alles andere, neben dem Verkehr. Wir fahren an alten Stadtmauern entlang, Angler fischen an jeder freien Stelle. Auf dem Marmarameer warten unzählig viele Schiffe – von ganz kleinen Yachten bis zu riesig großen Tankern – auf ihre Durchfahrt durch den Bosporus. Der Stress lässt nach und es macht richtig Spaß hier Rad zufahren. Gerne darf diese Promenade noch ein paar Kilometer weiter gehen.

weiter ging's in Istanbul





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Infos unter stefan@dresden-istanbul.de